„Che bello“: Aber meinen die Italiener, was sie sagen?

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„Che bello“: Aber meinen die Italiener, was sie sagen?

„Che bello“: Aber meinen die Italiener, was sie sagen?

Einsam zwischen den Städten: Was nutzt Schönheit ohne Begeisterung. Schon kleine Kinder haben in Italien die passende Theatralik drauf, stellt unsere Autorin fest.

Roshanak Amini für Berliner Zeitung am Wochenende

Berlin, da wäre er schon einmal gewesen. Berlino è una città molto bella, sagte der römische Taxifahrer, nachdem er mich gefragt hatte, wohin ich wolle und woher ich eigentlich käme, also ursprünglich. Nun ja, sagte ich, schön würde ich Berlin nicht unbedingt nennen, eher schon modern, grün, ruhig, entspannt. Nun, wollte er noch wissen, wo ich geboren sei. Wenn ich in Rom den Städtenamen Wuppertal ausspreche, kommt mir das immer Loriot-artig vor, als plante ich demnächst mit dem Papst eine Herrenboutique zu eröffnen.

Er selbst sei in Stuttgart geboren, was ich dazu sagen würde, fragte er und beobachtete meine Reaktion auf diese Enthüllung aufmerksam im Rückspiegel. Und jetzt kam Leben in den Mann. Stoccarda! Also nichts gegen Stuttgart. Er hätte keinerlei Erinnerung an diese Stadt. Seine Eltern seien mit ihm nach Rom zurückgezogen, als er noch ein Säugling war. Pause, dann ein lautes Auflachen. Unfassbar! Das müsste man sich mal vorstellen. Non ci credo! Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn – Stuttgart statt Rom!

Wie knapp das war, um ein Haar hätte er ein Dasein in Deutschland gefristet, anstatt in der schönsten Stadt der Welt zu leben. Dreißig Jahren lang führe er nun schon Taxi, doch Rom ließe ihn immer noch staunen, täglich Neues entdecken. Und da ich nicht schnell genug in seine Euphorie einfiel, forderte er mich nun energisch auf: Guarda, guarda! Schau doch nur, dabei zeigte er einigermaßen wahllos auf irgendwelche Kirchtürme, die Markise eines Restaurants, auf die Palazzi links und rechts, das Kopfsteinpflaster vor uns, den blanken Himmel und die blühenden Sternhyazinthen in den Loggien. Ob das nicht alles unvorstellbar schön sei? Aber sicher doch, deshalb sei ich schließlich in Rom, aus keinem anderen Grund als eben dieser Schönheit wegen. Als Nordeuropäerin muss ich mein Temperament manchmal ähnlich mühsam hervorkramen, wie den Schlüsselbund vom Grund einer vollgestopften Handtasche.

Schönheit, das sei für mich nichts weniger als schierer Trost, pflichtete ich ihm bei, doch das reichte dem Fahrer nicht. La Bellezza, das wäre der Sinn des Lebens! Ehrlich gesagt ging er mir nun schon leicht auf die Nerven, dieser Schönheitsfanatiker. Aber er hatte ja recht, was nutze Schönheit ohne Begeisterung. Schon kleine Kinder haben in Italien die passende Theatralik drauf. Che bello rufen sie, wenn sie meinen kleinen weißen Hund mit dem schwarzen Fleck auf dem Auge sehen. Das rührt mich immer wieder aufs Neue. Sie schlagen dann die Hände überm Kopf zusammen oder raufen sich das Haar, drehen die Augen himmelwärts.

Eines der ersten Worte meiner jüngsten Tochter war bella

Mamma mia, come bello tu sei, das ist der Satz, den der Hund hier, wie alle anderen kleinen, niedlichen Wesen jeden Tag mehrfach zu hören bekommt. Ein Wunder, dass er nicht längst übergeschnappt ist. Eines der ersten Worte meiner jüngsten Tochter, die in Rom Laufen und Sprechen lernte, war im Übrigen bella. Ich sehe den Zwerg im Kleidchen noch vor mir, keine zwei Jahre alt. Wie sie ihr Spiegelbild im Schaufenster einer Pasticceria betrachtet, sich in den Hüften wiegt und dazu anerkennend che bella, che bella haucht.

Nicht mehr als vier deutsche Wörter kannte mein Freund Gaetano, als wir uns Anfang der Neunziger in Rom zum ersten Mal über den Weg liefen. Er wiederholte sie, wann immer sie ihm passend erschien: Ja. Das. Ist. Schön.

Einzeln, langsam und sehr andächtig. Eine deutsche Urlauberin musste sie ihm kurz zuvor beigebracht haben. Zu welchem Anlass der Sprachunterricht stattgefunden hatte, war nicht schwer zu erraten. Allzu natürlich auch, dass bereits in den ersten deutschen Sprachbemühungen eines Italieners das Wort „schön“ vorkam.

Überall in Italien herrscht also La Grande Bellezza? Schon am römischen Flughafen werden die ausländischen Besucher mit Bella-Italia-Gimmicks begrüßt und mit Handtaschen und T-Shirts, die das alte Partisanen-Lied „Bella ciao“ verkitschen. Kitsch, dieses Wort existiert im Italienischen wie im Deutschen, es wird genauso geschrieben und auch nicht seltener benutzt als bei uns.

„Bella, bella, bella Marie, bleib mit treu, ich komm zurück morgen früh.“ Meine Großmutter pfiff früher beim Bügeln immer das Lied der „Capri-Fischer“. Schaute sie in unserer westfälischen Kleinstadt aus dem Wohnzimmerfenster, konnte sie sogar die Blaue Grotte erspähen. Als Fototapete zierte sie den Gastraum der Pizzeria Miramare, auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Pizza Calzone – Belag auf Wunsch: Viel Gouda, weiche hellgrüne Peperoni, Dosen-Ananas, Kochschinken und was einem sonst noch einfiel. Alles zusammengelappt für zwölf Mark. Das war nicht billig, für mich als Kind aber der Gipfel der Kulinarik. Die Gegend, aus der ich stamme, ist landschaftlich durchaus reizvoll, für guten Geschmack oder zivilisatorische Schönheit ist sie nicht berühmt.

Komplimente in Italien sind frei von Sarkasmus

In Italien, wo ich noch nie eine Pizza Calzone, also eine „Hosenpizza“ gegessen habe, bedeutet bello neben schön, genauso auch gut. Nennt der eine Zahnlose den andern Hundertjährigen in einer Bar bello, dann finden die alten Jungs sich gegenseitig nicht unbedingt rasend hübsch, sondern erst einmal gut. Mein Guter, könnte man an dieser Stelle in Deutschland vielleicht sagen, würde man dazu neigen, sich im täglichen Miteinander angenehme Gefühle zuzuspielen.

Gut und schön, diese Wortwendung benutzen wir vornehmlich, um uns zum Widerspruch zu rüsten. Das ist ja alles gut und schön, aber … und schon geht es weiter – zu den wahren Themen. Das Gute, das Schöne und das Wahre gehören nämlich zusammen. Womit sich die Frage nach der Wahrheit der südländischen Komplimente auftut. Meinen die Italiener, was sie da sagen? Stimmt es wirklich, bin ich schön? An dieser Stelle bedarf es jedoch eines erweiterten Schönheitsbegriffs, der Liebenswürdigkeit und Charme genauso wie Hilfsbereitschaft, Lebenserfahrung, Zugewandtheit und Haltung einschließt.

„Na schöne Frau, was darf’s denn sein?“, wurde meine betagte Großmutter damals auf dem Markt in Unna immer von einem vorwitzigen Obstverkäufer gefragt und bekam schlagartig schlechte Laune: „Der will mich doch veräppeln.“ Die Komplimente, die die Gemüsehändlerin der Signora und der Dottoressa auf dem Campo die Fiori macht, sind hingegen frei von Sarkasmus, einfach ein Ausdruck der anerkennenden Wahrnehmung.

Ein paar Wochen nachdem mir der besagte römische Taxifahrer noch überschwänglich einen schönen Abend gewünscht hatte, spazierte ich in Berlin-Mitte wieder in der aperolfarbenen Abendsonne an der Spree entlang. Gutgelaunte Menschen räkelten sich in Liegestühlen am Wasser und auf der Monbijoubrücke spielte eine Band Boogie-Woogie. Von der Einsamkeit, die mich in Berlin manchmal wie ein ausgehungerter Straßenhund anfällt, war an diesem Tag nichts zu spüren. Den milden Frühlingswind im Rücken, vor mir die Museumsinsel, dieser vor Anker gegangene Dampfer aus Kalk- und Sandstein, beladen mit den Kunstschätzen aus aller Welt, war mir auf einmal danach, dem römischen Taxifahrer ein Foto zu schicken. Recht hatte er. Was für eine schöne Stadt Berlin doch ist.

Berliner-zeitung

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